erschienen in a tempo 11/2014


Mut zur Lebendigkeit

 

Bewegung ist im Ursprung das Merkmal alles Lebendigen. Sich bewegen ist bei kleinen Menschen Anzeichen von Lebenswillen, Lebenskraft und Lebensfreude. Und bei Großen? Verändert der „Ernst des Lebens“ das?

 

Statt von Interessiertsein, Gelassenheit und Freude. erzählt die Körpersprache vieler Erwachsenen häufig von Eile, Sorge, Angespanntheit, von Routine oder Müdigkeit.

Ja - Kinder leben im Hier und Jetzt. Als Erwachsene wissen wir aber von gestern und morgen, tragen das GeWissen aus der Vergangenheit und das UngeWissen der Zukunft in uns. Und auch noch Gewohnheiten. Und Pflichten.

 

                        Das Kind lebt im Augenblick – und wir?

 

Zwischen der Vergangenheit und der Zukunft nimmt sich die Gegenwart so schmächtig aus. Sie ist ja nur dieser klitzekleine Moment- jetzt! Aber wir wissen auch, dass diese vielen Jetzt-Momente aneinandergereiht genau unser Leben ist! Lebendiges findet nicht in der Vergangenheit statt. Und nicht in der Zukunft.

Gibt es denn nicht etwas Schützendes in uns, um dieses kleine „Jetzt“ nicht zu zerquetschen?

Doch! Das Heilmittel gegen den Verlust der Gegenwärtigkeit liegt ebenso wie das Denken in unserer menschlichen Natur, nämlich in unserer Fähigkeit Fühlen zu können. Während Sie dies lesen, können Sie sich fühlen in Ihrer Leibeshaut, in Ihrem Körper, sitzend oder stehend. Sie können Ihre Größe spüren, Ihre Füße, das Gefülltwerden durch Atem und den Boden, der Ihnen Ihr Gewicht abnimmt. Manchmal dauert es etwas, bis wir die Empfindungen z.B. aus den Füßen im Bewusstsein finden, sie wahrnehmen. Aber sie sind immer da.

 

                            Wahrnehmen – Partner des  „Jetzt“

 

Fühlend sind wir im Jetzt und bei uns angekommen. Präsens statt Perfekt. Wir können den Zustand unseres Lebensleibes spüren, können seine Gestimmtheit „hören“ - wie ein Musiker sein Instrument. Zuviel Spannung? Zu wenig? Wo ist zuviel, wo zuwenig? Wie wenig ist nötig? Können wir die Schwerkraft, die jedes Gramm unseres Leibes zur Erde ausrichtet, spüren und wirken lassen ohne dagegen zu sein? Aufrichtung entsteht dann - nicht als Gegenwehr und Haltung, sondern als die menschgemäße Antwort in diesem Dialog: Balancieren - in uns und auf der Erde.

 

Bewegen ist die Melodie, die durch unser Instrument spielt. Klingt es oder quietscht es, wenn wir uns bücken, wenn wir aufstehen oder uns umwenden.? Fließt es oder ist es unterbrochen? Spüren wir, was wir tun? Z.B. die Formen der verschiedenen Gegenstände, die wir abspülen? Das Gewicht der Tasche, die wir tragen?

Elsa Gindler, die in Berlin bis 1960 als Gymnastiklehrerin arbeitete, stellte in ihren Kursen solche Fragen an Bewegung, an Verhalten überhaupt. Bei ihr wurden keine Übungen gemacht, sie lud die Kursteilnehmer ein zur wahrnehmenden Selbsterforschung.

 

Auch wenn wir uns noch so sehr nach „Entspannung“ sehnen: Lebendiges hat und braucht Spannung! Wir erleben und genießen sie ja in der Musik, im frischen Salat, bei spielenden Kindern und Hunden. Nicht Entspannung ist die Lösung, sondern Spannkraft, und zwar die der jeweiligen Situation und Anforderung gemäßen. Im Schlafen weniger als im Wachen, im Liegen weniger als in der Aufrichtung, im Langsamen weniger als im Schnellen. Wir können das für jeden Moment richtige Maß finden, wahrnehmend, wägend, erfahrend.

Bewegung ist zweierlei: Straffen und Lösen. Meistens lassen wir die Spannung, die eben noch nötig war, nicht ganz wieder abklingen nach Beenden einer Aktion, weil wir schon in der Zukunft, beim nächsten Vorhaben sind. Wir spüren das nicht, aber so häufen wir Spannung in uns auf bis zur Überspannung. Und die fühlen wir dann als Enge, als Schmerz.

Wo ist der Ausweg? Gibt es eine Fürsorge der Schöpfung in uns zu Gesundheit statt Erschöpfung?

Natürlich! Es ist sogar ganz einfach, ganz nahe liegend. Wir kennen und spüren ihn alle gut, den in unserem Organismus wohnenden Trieb dafür. Aber meistens unterdrücken wir ihn – aus Unachtsamkeit oder Konvention.

 

        Räkeln und gähnen: Gesundheitsimpuls von innen

 

Räkeln und Gähnen lautet die körpereigene erste Hilfe gegen zuviel und auch gegen zu wenig Spannkraft. Das fängt morgens an, wenn der Organismus wach wird. Wenn wir ihm nicht sofort das Aufstehen befehlen würden, würde er sich so ausgiebig räkeln und gähnend mit Luft füllen, dass sogar die Augen nicht aufgerissen werden müssten, sondern von selber aufgehen. Von innen. Räkeln ist Straffen und Lösen, die Glieder  probieren ihre Gelenkigkeit aus in alle Richtungen. Das beginnt oft an den Händen und Füßen und „weckt“ dann allmählich alle Gelenke und alle Gewebe. Der Organismus weitet sich und wird geschmeidig, er stimmt sich selbst sein Instrument für den Tag, kostenlos. Aufwachen am Morgen ist die Kindheit des Tages – und räkelnd schlüpfen wir wieder in unseren Leib bis unter die Haut. Aus schlaffem Schlaf in lebendiges Wachsein. Glauben Sie es nicht, probieren Sie es! Wie fühlt es sich danach an? Ist etwas anders?

Katzen machen es uns vor: Sie würden ohne ausgiebiges Strecken und Gähnen nach dem Ruhen auf keinen Baum springen können. Diese Leistung ist erst möglich, wenn ihr Organismus straff, geschmeidig und lebendig sind. Auch die meisten Kindern würden auf das morgendliche Vorbereiten des Auf–Stehens nicht freiwillig verzichten, denn sie hören die Gesundheitssignale ihres Organismus noch deutlich.

Nach längeren Autofahrten wird uns Räkeln und Gähnen sogar „von Experten“ empfohlen, um im Verkehr wach genug zu sein. Kennen Sie den Impuls des Organismus, Ihres inneren Experten für Lebendigkeit, sich zu weiten und zu regen, um wieder Platz zu schaffen für Atem und alle anderen Lebensvorgänge, wenn Erstarren oder Erschlaffen droht? Ja – Gähnen, straffen, bewegen. Wie oft unterdrücken oder verkleinern Sie diesen Impuls am Tag? Vergrößern Sie ihn!

Und abends, wenn unser Organismus dann liegen darf – spüren Sie mal: Ziehen Sie sich klein zusammen? Ist da nicht auch noch ein Impuls sich die Knitterfalten des Tages wieder zu glätten? Dann könnte sich der Organismus dem Schlaf gelöst und ausgebreitet wie ein Kind hingeben - und frisch werden.

 

                       Für eine Kultur des Räkelns und Gähnens!

 

Durch Räkeln und Gähnen bekommen wir wieder mehr Raum für Leben, kommen wieder in lebendigeres Sein, ins Hiersein. Räkeln und Gähnen, morgens, mittags und abends (mindestens) – das ist die angeborene Medizin gegen Alltagsdruck. Es ist der Trieb zu Gesundheit von innen. Diesen Trieb zu achten, zu erlauben und zu kultivieren ist unkonventionell bei uns. Bis jetzt. Es gibt nicht nur ansteckende Krankheiten, sondern auch ansteckende Gesundheit. Räkeln und Gähnen gehört dazu. Werden Sie ansteckend!

Petra Lutz

Praxis für

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